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Bessere Vernetzung der (Weiter-) Bildungsberatung – Alter Wein in neuen Schläuchen? – Und sonst?

Christiane Schiersmann
Bessere Vernetzung der (Weiter-)Bildungsberatung – Alter Wein in neuen Schläuchen? – Und sonst?

Ich erinnere noch, dass auf einer der ersten größeren Tagungen zur Nationalen
Weiterbildungsstrategie (NWS) eine Vertreterin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales betonte, dass in Deutschland zum ersten Mal eine nationale Weiterbildungsstrategie aufgelegt worden sei. Als jemand, der schon etwas länger in diesem Feld aktiv ist, hat mich diese Einschätzung schon sehr erstaunt. In Erinnerung zu rufen, sind vor allem die vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft Klaus Möllemann 1987 initiierte Konzertierte Aktion Weiterbildung (KAW) sowie der von der Bundesbildungsministerin Annette Schavan eingerichtete Innovationskreis Weiterbildung
(IKWB), der 2008 seine Empfehlungen vorgelegt hat. Während die ersten beiden Initiativen unter Federführung der Bundesbildungsministerien liefen, handelt es sich bei der NWS um eine Kooperation des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) unter Einbezug der Bundesländer, der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Bundesagentur für Arbeit. Die Einbeziehung unterschiedlicher Akteure in die Strategieentwicklung kann durchaus positiv gesehen werden, allerdings wurde der Fokus auf die berufliche Weiterbildung reduziert, trotz dieser breiteren Basis und trotz des Einbezugs der Länder, die ja für die allgemeine und politische Weiterbildung zuständig sind. Die beiden früheren Initiativen hatten einen offeneren Bildungsbegriff zur Grundlage.
Die Arbeit der KAW liegt nun schon recht lange zurück und die Bildungsberatung wurde dort erst spät zu einem relevanten Thema. Aber es lohnt sich, die Empfehlungen des IKWB und der NWS im Hinblick auf das Thema (Weiter-)Bildungsberatung zu vergleichen. Im IKWB widmete sich einer von vier Arbeitskreisen dem Thema Bildungsberatung. In der NWS wird die Weiterbildungsberatung als eines von 10 Handlungsfeldern adressiert. Außerdem wurde sie in einem von vier Themenlaboren vertiefend diskutiert. Dies zeigt erfreulicherweise, dass die Beratung als relevantes Thema in der Weiterbildungspolitik angekommen ist.

Vernetzung der Beratungsanbieter
Mit dem Handlungsfeld 3 verfolgt die NWS laut Strategiepapier von 2019 das Ziel, „bestehende Beratungsangebote, insbesondere von Bund, Ländern, Kammern, Verbänden und Bildungswerken, zu einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen lebensbegleitenden Beratungsstruktur auszubauen und zu vernetzen“ (BMAS & BMBF, 2019, S. 10). Dabei fällt auf, dass Beratungsangebote von Kommunen oder von Stellen, die an Weiterbildungseinrichtungen (z.B. Volkshochschulen) angegliedert sind, keine Erwähnung finden. In dem Strategiepapier werden vor allem Prüfaufträge für unterschiedliche Akteure benannt. Der Umsetzungsbericht der NWS vom Juni 2021 (BMAS &
BMBF 2021a, S. 30-31) benennt unter dem Handlungsfeld 3 die stärkere regionale Vernetzung von Weiterbildungsberatung. Vom Ausbau der Weiterbildungsberatung ist nicht mehr die Rede.
Eine stärkere Kooperation und Vernetzung ist sicher ein erstrebenswertes und notwendiges Ziel zur Optimierung der (Weiter-)Bildungsberatung. Allerdings wurde dies auch schon in den Empfehlungen des IKWB von 2008 gefordert: „Die Beratungsangebote unterschiedlicher Akteure sind besser aufeinander abzustimmen“ (BMBF, 2008, S. 17). Erledigt hat sich diese Frage in der Zwischenzeit sicher nicht. Es wäre aber sinnvoll gewesen, die bisherigen Erfahrungen mit Kooperation systematisch auszuwerten, um so die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Strategien zu identifizieren. Zwar leistet die von der NWS in Auftrag gegebene Expertise der OECD (2021) hierzu einen kleinen Beitrag. Deren Ergebnisse sind aber offenbar nicht mehr in den Umsetzungsbericht eingeflossen und ersetzen keine wissenschaftsbasierte detaillierte Auswertung der Erfahrungen.

Gleichwohl ist interessant, dass der OECD-Bericht drei unterschiedliche Vernetzungsstrategien identifiziert (OECD, 2021, S. 83-84):
Eine Strategie besteht darin, dass sich die Anbieter von Weiterbildungsberatung vernetzen.
Dies gilt z.B. für Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.
• Andere Länder haben eine einzige Agentur etabliert, über die der Zugang zu
Beratungsangeboten erfolgt. Dies gilt z.B. für Stadtstaaten wie Berlin oder Hamburg, aber
auch für Mecklenburg-Vorpommern sowie Brandenburg.
• Eine dritte Strategie konzentriert sich auf die Bereitstellung einer Plattform, die
Informationen über vorhandene Beratungsangebote enthält. Dies gilt z.B. für Bayern und
Rheinland-Pfalz.
Irritierend ist vor dem Hintergrund dieser Vielfalt bereits bestehender Vernetzungsstrukturen, dass im Umsetzungsbericht eine Federführung der Bundesagentur für Arbeit in Zusammenarbeit mit den
Bundesländern nahe gelegt wird. Diese Akteure haben laut Umsetzungsbericht eine
Bestandsaufnahme regionaler Kooperationen angestoßen. Darauf aufbauend sollen gegebenenfalls Empfehlungen für regionale Aktivitäten entwickelt und wo nötig die Kooperation ausgebaut werden
(BMAS & BMBF, 2021a, S. 31).
Im Themenlabor zu den Beratungsstrukturen in der Weiterbildung wurden für die Vernetzung
„Gelingensbedingungen“ formuliert (BMAS & BMBF, 2021b, S. 48). In diesem Zusammenhang sei
daran erinnert, dass das BMBF zwei große Projekte finanziert hat, die genau dieses Ziel verfolgten:

Das Programm Lernende Region – Förderung von Netzwerken (2001-2007) und „Lernen vor Ort (2009-2014). In diesem Kontext wurden u.a. drei Geschäftsmodelle für Kooperationen entwickelt und ebenfalls Vernetzungsschritte herausgearbeitet (Gieseke & Pohlmann 2016). Ist das alles vergessen?
Die Einführung der Lebensbegleitenden Beratung bei der Bundesagentur für Arbeit wird in diesem Zusammenhang als ein Meilenstein bezeichnet, um ein flächendeckendes Beratungsangebot auch für beschäftigte Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen (BMAS & BMBF 2021a, S. 31). Dazu ist anzumerken, dass bislang noch nicht wirklich klar ist, wie schnell und in welchem Umfang dieser Ausbau erfolgen wird. Zudem ist zu Bedenken zu geben, dass laut dem Adult Education Survey (AES) die Zufriedenheit der Ratsuchenden bei einer Beratung durch die Arbeitsagenturen und Jobcenter mit 69% deutlich niedriger ausfällt als bei anderen Beratungsanbietern (Käpplinger, Reuter & Bilger,
2017, S. 261). Dies hat sicher damit zu tun, dass diese Beratungen bislang nicht immer freiwillig sind und mit Sanktionen verbunden sein können. Eine deutliche Veränderung der Beratungskultur wäre eine wichtige Voraussetzung für eine bessere Akzeptanz. Unabhängig davon sollte zum einen eine Vernetzung der örtlichen Arbeitsagenturen mit den übrigen lokalen Beratungsanbietern auf Augenhöhe und nicht unter Federführung der BA erfolgen und andererseits sichergestellt werden, dass andere Beratungsanbieter durch den Ausbau des Angebots der Bundesagentur für Arbeit nicht zurückgedrängt werden. Auch in Zukunft muss gewährleistet sein, dass Ratsuchende reale wohnortnahe Wahlmöglichkeiten in Bezug auf Beratungsanbieter haben.
Qualifizierungsberatung für Klein- und Mittelbetriebe neben der Vernetzungsstrategie wird im Umsetzungsbericht zur NWS die Stärkung der Qualifizierungsberatung als weiterer Punkt hervorgehoben. Auch im Hinblick auf die Qualifizierungsberatung, d.h. die Beratung insbesondere von Klein- und Mittelbetrieben, wird auf die Bundesagentur für Arbeit verwiesen, und zwar auf deren Arbeitgeber-Service. Auch die Forderung für kleine und mittlere Unternehmen Bildungsberatungsangebote auszubauen, fand sich schon in
den Empfehlungen des IKWB (BMBF, 2008, S. 18). Es gibt dazu eine Vielzahl an Initiativen und Projekten, vor allem bei Kammern und Wirtschaftsverbänden auch jenseits der Bundesagentur für Arbeit. Es fehlt jedoch an einer kohärenten Strategie, um verlässliche Strukturen für dieses Beratungsformat zu schaffen und das tendenzielle Professionalisierungsdefizit (Düsseldorff & Fischell
2018) zu beheben.

Niedrigschwelliger Zugang zu Beratungsangeboten

Erst im Ausblick des Umsetzungsberichts wird die Notwendigkeit erwähnt, niedrigschwellige Zugänge zur Beratung insbesondere für Personen mit geringer Weiterbildungsbeteiligung zu verbessern. In diesem Kontext wird der Online-Beratung eine wichtige Funktion zugesprochen, wobei auch Forschungs- und Entwicklungsbedarf konstatiert wird (BMAS & BMBF, 2021a, S.33). Die Forderung nach einem Ausbau niedrigschwelliger oder aufsuchender Beratung wird in der Fachdiskussion schon lange erhoben. Über einzelne Modellvorhaben ist die Entwicklung aber nicht hinausgekommen, vermutlich insbesondere aufgrund der in der Regel deutlich höheren Kosten derartiger Angebote. Ob
hier alleine vergleichsweise kostengünstige Online-Angebote eine Problemlösung versprechen, muss erst noch untersucht werden und darf in Frage gestellt werden, zumal hierfür erst einmal größere
Investitionen in eine entsprechende technische Infrastruktur sowie der Ausbau digitaler
Kompetenzen sowohl bei Ratsuchenden als auch bei Beratenden erforderlich sind.

Finanzierung von (Weiter-)Bildungsberatung

In den Empfehlungen des IKWB wurde gefordert, Bildungsberatung, inklusive Berufsberatung „auf eine einheitliche, staatliche Finanzierungsgrundlage zu stellen (BMBF, 2008, S. 18). Demgegenüber wird die Finanzierungsfrage von (Weiter-)Bildungsberatung weder im Strategiepapier noch im Umsetzungsbericht der NWS thematisiert. Darüber weiter nachzudenken wäre jedoch wichtig, weil noch immer – und aufgrund der Pandemie wieder verstärkt – Beratungseinrichtungen, die auf einer
Projektförderung basieren, in finanzielle Schwierigkeiten geraten, wenn diese wegbricht und zum Teil auch wieder schließen müssen.
Selbst wenn es „nur“ um eine professionelle Vernetzung vorhandener Akteure geht, werden für ein dazu notwendiges Netzwerkmanagement zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen erforderlich sein. Dies haben ebenfalls u.a. die Modellprojekte „Lernende Region“ und „Lernen vor Ort“ gezeigt.

Professionalisierung und Qualität

Als weitere wichtige Punkte wurden in den Empfehlungen des IKWB Fragen der Qualitätsentwicklung und der Professionalisierung des Personals angesprochen (BMBF, 2008, S. 19). Diese Aspekte fehlen in der NWS ebenfalls völlig. In den Empfehlungen des IKWB wurden transparente und verständliche Qualitätsmanagementsysteme als Entscheidungshilfe für die Nutzer*innen gefordert, außerdem die Prüfung der Entwicklung eines eigenen Berufsprofils für die Bildungsberatung und kurzfristig eine
Orientierung an Basiskompetenzen. Im Hinblick auf die Qualität und Professionalität sind seit den Empfehlungen des IKWB wichtige Ansätze entwickelt worden, z.B. im Rahmen vom BMBF geförderter Projekte. Als Beispiele seien die BeQu-Projekte zur Beratungsqualität (Nationales Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung e.V. (nfb) & Forschungsgruppe Beratungsqualität am Institut für Bildungswissenschaft der Ruprecht-Karls-Universität. 2014) oder auch die Kundenorientierte Qualitätstestierung für Beratungsorganisationen (KQB) als Variante der Lernerorientierten
Qualitätstestierung (Zech 2009) genannt. Auch diese Ansätze scheinen nicht rezipiert worden zu sein.
Die Umsetzung der Ergebnisse dieser Projekte in die Praxis der Bildungsberatung ist durchaus als ausbaufähig zu beschreiben. Sie ist aber zentral für eine weitere Professionalisierung dieses Feldes.

Fazit

Im Umsetzungsbericht wird eine konsequente Fortführung der gestarteten Aktivitäten und Austauschprozesse vorgeschlagen (BMAS & BMBF, 2021a, S. 69). Allerdings dürfte die Befürchtung nicht ganz unberechtigt sein, dass mit dem Ende der Legislaturperiode auch diese – aus meiner Sicht zumindest dritte – bundesweite Weiterbildungsstrategie schnell in Vergessenheit geraten könnte.
Angesichts der Kurzatmigkeit der Politik entsteht ein wenig der Eindruck, dass das Rad immer wieder neu erfunden wird und dann zudem noch ein kleineres Rad gedreht wird. Dem gilt es entgegenzuwirken, u.a. durch strategisches Handeln der in diesem Feld relevanten Akteure sowie einschlägige Forschung.

Literatur
Bundesministerium für Arbeit und Soziales & Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.)
(2019). Wissen Teilen. Zukunft gestalten. Zusammen Wachsen. Nationale
Weiterbildungsstrategie. O.O.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales & Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.)
(2021a). Wissen Teilen. Zukunft gestalten. Zusammen Wachsen. Nationale
Weiterbildungsstrategie. Umsetzungsbericht. Bonn: BMBF.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales & Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.)
(2021b). Themenlabore. Begleitpublikation zum Umsetzungsbericht der Nationalen
Weiterbildungsstrategie. Berlin: Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Bundesministerium für Bildung und Forschung (2008). Empfehlungen des Innovationskreises
Weiterbildung für eine Strategie zur Gestaltung des Lernens im Lebenslauf., M. Bonn/Berlin.
Düsseldorff, K. & Fischell, M. (2018). Qualifizierungsberatung für Kleinere und Mittlere
Unternehmen. Ergebnisse und Erfahrungen zur Qualifizierung und Professionalisierung der
Weiterbildungsarbeit in KMU. In R. Dobischat et al. (Hrsg.), Das Personal in der Weiterbildung
(S. 423-438). Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Gieseke, W. & Pohlmann, C. (2016). Institutionelle Strukturen der Beratung. In W. Gieseke & D. Nittel
(Hrsg.), Handbuch Pädagogische Beratung über die Lebensspanne (S. 412-424). Weinheim:
BeltzJuventa.

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Käpplinger, B., Reuter, M. & Bilger, F. (2017). Bildungsberatung und Transparenz des
Bildungsangebots Erwachsener. In F. Bilger, F. Behringer, H. Kuper & J. Schrader (Hrsg.),
Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2016 – Ergebnisse des Adult Education Survey (AES)
(S. 255–264). Bielefeld: wbv Media.
Nationales Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung e.V. (nfb) & Forschungsgruppe
Beratungsqualität am Institut für Bildungswissenschaft der Ruprecht-Karls-Universität (Hrsg.)
(2014). Professionell beraten mit dem BeQu-Konzept. Berlin/Heidelberg.
OECD (2021). Continuing Education and Training in Germany. Paris: OECD Publishing.
Zech, R. (2009). Kundenorientierte Qualitätstestierung für Beratungsorganisationen. Leitfaden für die
Praxis. Hannover: Art Set.

Autorin
Prof. Dr. Christiane Schiersmann, em. Professorin für Weiterbildung und
Beratung, Universität Heidelberg

Dieser Beitrag ist im Newsletter 2/2021 (August 2021) des Nationalen Forums Beratung in Bildung,
Beruf und Beschäftigung (nfb) mit dem Schwerpunkt „Bildungs- und Berufsberatung als Politikfeld“
veröffentlicht worden.

 

Photo by Clarisse Croset on Unsplash

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