Beratung (M)macht Gesellschaft 30.-31.05.2013 in Frankfurt/M.
Beratung M(m)acht Gesellschaft_Flyer_2013.pdf
Fünf Thesen zur aktuellen Relevanz von Beratung
1. Beratung hat auch mit Macht und daher mit Ungleichheiten zu tun und soll dazu beitragen, diese zu minimieren
Die professionelle Beziehung zwischen Berater_in und Klient_in ist gekennzeichnet durch eine strukturelle Machtasymmetrie:
- Berater_innen befinden sich in der Sicherheit ihres gewohnten Berufsalltags, Klient_innen hingegen in einer Notsituation ihres (privaten/beruflichen/gesamten) Lebens,
- Berater_innen befinden sich in ihrem vertrauten beruflichen Umfeld, Klient_innen in einem fremden und befremdlichen Setting,
- Berater_innen haben zum Gesprächs-/Handlungsgegenstand einen enormen Wissensvorsprung vor den Klient_innen,
- Berater_innen haben eine emotionale Distanz zum Gesprächs-/Handlungsgegenstand, Klient_innen sind emotional verstrickt
- Berater_innen geben Hilfe, Klient_innen brauchen Hilfe
2. In unserer Gesellschaft hat das Thema Kriegstraumata und der Umgang damit in den Folgegenerationen einen hohen Stellenwert
Die wenigen noch Lebenden der am Zweiten Weltkrieg beteiligten („ersten“) Generation sind derzeit in einem hohen Alter und werden in der Regel von ihren meist verheimlichten Kriegstraumata am Ende ihres Lebens noch einmal „eingeholt“. In vielen Familien hören die nachfolgenden („zweiten“ und „dritten“) Generationen in dieser Phase des Abschieds möglicherweise erstmalig von zuvor totgeschwiegenen Ereignissen. Die jüngeren Generationen sind
häufig damit überfordert, bzw. müssen zur Kenntnis nehmen, wie sie selbst involviert worden sind.
Seit einigen Jahren erscheinen viele Filme und Bücher zur Problematik der transgenerationalen Traumatisierung. Jüngere Generationen (vor allem die „dritte“) stehen dem Thema viel offener gegenüber, nehmen das neue Wissen auf, erkennen Ähnlichkeiten zu Phänomenen in ihren eigenen Familien. Austausch darüber mit den älteren Generationen bleibt schwierig bis unmöglich, insbesondere in Familien mit „Täter_innen“-Hintergrund. Die älteren Generationen
sind häufig überfordert und wollen sich nicht mehr damit auseinandersetzen.
3. Der Schwerpunkt „Gewalt gegenüber Frauen“ ist nach wie vor ein relevantes Thema in unserem Kontext
Obgleich die ersten Frauenhäuser bereits Anfang der 1970er-Jahre entstanden (1971 das erste in England, 1976 in Deutschland) und während der Folgejahrzehnte im Zuge von Aufklärungsarbeit, Schwerpunktforschung, breiter Praxisarbeit und gesetzlichen Änderungen viel Besserung erreicht wurde, gibt es bis heute einen ungebrochen hohen Unterstützungsbedarf für Frauen, die Gewalt erfahren haben.
So fehlt in Deutschland beispielsweise noch immer die eindeutige Strafbarkeit und effiziente juristische Verfolgung nicht-einvernehmlicher sexueller Handlungen, was viele Frauen vor einer Anzeige zurückschrecken lässt. Durch die Verabschiedung der „Istanbul-Konvention“ des Europarats zur „Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“ im August 2014 wird nun auch die deutsche Legislative unter Druck gesetzt, den vielen Worten auch – gesetzlich gerahmte – Taten folgen zu lassen. So müsste § 177 StGB zur sexuellen Nötigung/Vergewaltigung dringend reformiert werden, da er bislang nur zur Anwendung kommt, wenn die „Nötigung“ unter Gewaltanwendung nachgewiesen werden kann. Das „Nein“ einer Frau reicht da nicht aus.
Frauen, die den Schritt wagen, einen gewalttätigen Partner zu verlassen und Zuflucht in einem Frauenhaus zu suchen, bringen häufig ihre Kinder mit. Diese sind in einer gewalttätigen Atmosphäre aufgewachsen, oftmals auch selbst betroffen von der Gewalt des Vaters bzw. des Partners der Mutter, zumindest aber Zeugen seiner Gewalt gegen die Mutter gewesen. Im Frauenhaus jedoch steht die Sorge um die Frau im Vordergrund, ihre Kinder werden beschäftigt und selbstverständlich geschützt – doch sie werden in der Regel nicht als die Opfer anerkannt, die sie sind, und erfahren daher auch nicht die (kindgerechte!) Hilfe, die sie – ebenso wie die Mutter – bräuchten.
4. Herausforderungen an die professionelle Beratung, gendersensibel und diverstätssensibel zu arbeiten und sich laufend weiter zu qualifizieren
Vielfalt ist in unserer (multikulturellen) Gesellschaft strukturell bedingt – das gilt auch für die Klientel der Beratung.Ob die Klient_innen männlich oder weiblich, Erwachsene oder Kinder, deutscher oder nicht-deutscher Herkunft, weißer oder dunkler Hautfarbe, Single oder in Partner_innenschaft, hetero- oder homosexuell, Eltern oder kinderlos
sind, macht wesentliche Unterschiede bezogen auf ihre Möglichkeiten und Ressourcen. Nur mit auf ihre spezielle Situation zugeschnittenen Angeboten ist den Klient_innen auch geholfen, nur vor dem Hintergrund ihrer subjektiven Möglichkeiten kann realistisch am Ziel Partizipation gearbeitet werden. Diese jeweilige „Spezialität“ des/der Einzelnen zu erfassen, setzt eine hohe Diversitätskompetenz bei den Berater_innen voraus.
Erst die Offenheit für Unterschiedlichkeit ermöglicht, (strukturelle) Ungleichheit wahrzunehmen und auch das Macht-Ohnmacht-Gefälle, das sozial damit einhergeht. Nur eine – geschulte – Sensibilität für Machtasymmetrien gibt den Blick auf Diskriminierung und strukturelle Gewalt frei, lässt Gewaltformen wie Rassismus und Sexismus erkennen und daraus Handlungsalternativen ableiten.
5. Beratung macht Geschlecht
Da in der Beratung ein strukturelles Machtgefälle besteht, hat das Wort der Berater_innen wesentlich mehr Gewicht als das der Klient_innen. Bei den Berater_innen liegen die Übersicht, der Wissensvorsprung, die Definitionsmacht. Die Klient_innen haben in dieser Abhängigkeitssituation, getragen vom Wunsch, es gehe ihnen möglichst bald besser, eine hohe Bereitschaft, das Wort der Berater_innen ernst- und anzunehmen, ggf. sogar kritiklos.
Sprache ist Macht. Auch in Bezug auf das Geschlecht. Doing gender „geschieht“ in allen sozialen Begegnungen -also auch in der Beratungssituation.
Ethische Mindeststandards und Anforderungen an die Qualität der Beratungsprofession haben einen hohen Stellenwert hinsichtlich der genannten Dimensionen.
Tagungsreader „Beratung M(m)acht Gesellschaft“ 30.-31.05.2013 (3,5 MB)